Eine Zugfahrt durch die Gedanken

Neulich auf dem Münchner Marienplatz: Am U-Bahn Ausgang gegenüber des bekannten Restaurants Donisl ist ein kleiner Bereich umzäunt, indem sich eine Handvoll Pegida Anhänger versammelt hat. Drumherum stehen vereinzelt Personen und beobachten das Ganze. Einige von Ihnen sind gerade mit einer bunt verschleierten, älteren Dame am Diskutieren. Sie murmelt etwas von „..deutsche Kultur geht verloren..“ und „..Ausländer werden uns aus unserem Land verdrängen..“.

Ihre Opponenten, junge Erwachsene mit ausländischen Wurzeln, kann ich etwas deutlicher verstehen. „Wir sind in Deutschland geboren und aufgewachsen“ sagt ihr ein Geschwisterpaar und fügt an: „Unsere Eltern sind vor vielen Jahren nach Deutschland geflohen, als bei uns Krieg war“. Die alte Frau entgegnet: „Dann geht wieder zurück dahin, wo ihr hergekommen seid, der Krieg ist doch schon längst vorbei“.

Unser Denken ändert sich

Szenen wie diese spielen sich aktuell wohl täglich in den deutschen Großstädten ab. Es wird viel zu dem Thema geschrieben, vieles hochgeschaukelt und vieles auch wieder heruntergespielt. Die ganzen Anschläge der IS und ihren Anhängern, die Flüchtlingsdebatte und Geschehnisse wie die in der Kölner und Münchner Silvesternacht tun ihr übriges dazu. Dadurch, dass Ereignisse wie die in Paris immer näher kommen, ändert sich unser Denken.

„Darf ich nachts jetzt nicht mehr auf die Straße?“, „Soll ich noch in die Türkei zum Badeurlaub fliegen?“ oder „Wann gibt es wohl den nächsten Anschlag?“ sind Fragen, die uns allen mehr oder weniger im Kopf herumschwirren. Auch ich habe bei den Anschlägen im November in Paris entsetzt vor dem Fernseher gesessen, auch ich hatte ein komisches Gefühl nach der Terrorwarnung in der Münchner Silvesternacht.

Sollen wir jetzt unsere Lebensweise ändern?

Soll ich also deswegen jetzt meine Lebensweise ändern? Der Tenor nach den Terroranschlägen ist immer derselbe: „Wir dürfen unser Leben, so wie wir es gewohnt sind, nicht aufgeben – denn genau das wollen die Terroristen erreichen.“ Und tatsächlich, einige Tage nach einem Anschlag scheint alles genauso wie es vorher war. Menschen sitzen in den Cafés und geniessen ihren Kaffee, besuchen Konzerte oder fliegen in den wohlverdienten Urlaub. Das war aber auch schon 2001 bei den Anschlägen auf das World Trade Center in New York so, auch danach hat sich vieles für uns verändert. Trotzdem war ich vier Jahre später mit meinen Eltern dort.

Ein gestrandete Fliegerbombe in Syrien

Große Tragödien, Anschläge und Kriege sind Dinge, die den Menschen immer wieder begegnen werden. Für viele ist es Alltag, man denke an die Menschen in Syrien oder in anderen Kriegsregionen, an die vielen hungernden Menschen auf dieser Welt. Das Leid, welches diese dort ertragen müssen, können wir uns gerade im sicheren Deutschland nicht mal im Ansatz vorstellen. Wir sehen es nur auf Bildern im Internet oder im Fernsehen. Doch auch Deutschland ist ein vom Krieg geprägtes Land, zwar nicht unsere heutige Generation, aber die vorherigen.

Die Europäische Gemeinschaft steht vor vielen, neuen Herausforderungen

Europa und insbesondere Deutschland mit einer Art „Führungsrolle“ und moralische Instanz der Gemeinschaft stehen durch die Entwicklungen der letzten Jahre vor vielen Herausforderungen. Die Regierungen müssen sich schnellstens auf einen gemeinsamen Weg einigen, sonst sind wir bald wieder in Zuständen wie vor 30-40 Jahren. Die ersten Länder wie Schweden, Dänemark oder Österreich machen schon ihre Grenzen dicht und die Forderungen danach werden auch in Deutschland immer lauter.

Wir sollten bewusster mit unseren vielen Privilegien umgehen. So viele, für andere unerreichbare Dinge, sind für uns zum Alltag geworden. Unsere gefühlt größten Probleme sind leere Batterien unserer Smartphones oder die Auswahl des passenden 5-Sterne-Hotels für den nächsten Urlaub. 63 Menschen sollen zusammen so viel Vermögen besitzen wie die Hälfte der ganzen Weltbevölkerung. 63 Menschen. Auch wenn diese Zahl sicherlich nicht ganz korrekt ist, selbst wenn es einige hundert sind – irgendetwas läuft gewaltig schief auf unserer Erdkugel.

Soziale Medien werden zum Abfalleimer der Gesellschaft

Nicht jeder von uns muss ein Lautsprecher sein, muss bei Demos gegen Rechte in der ersten Reihe stehen oder Flüchtlinge euphorisch am Bahnhof begrüßen. Ich mache auch nichts davon, bin kein allzu politischer Mensch der zu allem und jedem seinen Senf geben muss. Wenn man die Kommentare unter einigen Bildern und Artikeln auf Facebook oder anderen Medien liest, könnte man allerdings meinen, dass viele das anscheinend unbedingt müssen.

Es ist ein „Segen“, dass sich alle öffentlich und frei äußern können aber es ist ernüchternd, auf welche Art und Weise dieses Recht von vielen, vor allem im Internet, wahrgenommen wird. Jedes noch so kleine Ereignis, jedes noch so winzige Gerücht wird kommentiert, diskutiert und dafür genutzt, gegen bestimmte Institutionen oder Personen zu hetzen oder diese zu beleidigen. Und das nichtmal mehr unter dem Deckmantel der Anonymität, wie früher in Foren, sondern meist unter dem eigenen Namen in den sozialen Medien.

Passend dazu eine Zahl, die zum einen hoffnungsvoll macht aber zum anderen auch die Realität in unserem Land widerspiegelt: Die OECD hat in einer Studie herausgefunden, dass in allen Ländern die Social-Media Nutzer gebildeter sind als der Bevölkerungsdurchschnitt. Außer in Deutschland, da gilt: Je dümmer, desto Social Media.

Sogar der Papst sorgt sich um die Sozialen Medien

Selbst Papst Franziskus hat sich zuletzt zum Thema Soziale Medien geäußert: “Die sozialen Netze sind imstande, Beziehungen zu begünstigen und das Wohl der Gesellschaft zu fördern, aber sie können auch zu einer weiteren Polarisierung und Spaltung unter Menschen und Gruppen führen”, erläuterte Franziskus. Die digitale Welt sei “ein Ort der Begegnung, wo man liebkosen oder verletzen, eine fruchtbare Diskussion führen oder Rufmord begehen kann”.

Ist man ohne Facebook nicht mehr cool genug, um mitzureden?

Demokratie lebt sicherlich von Diskussion und verschiedenen Meinungen, aber ich habe noch nie von einer Demokratie gehört, die über soziale Medien funktioniert hat. Was genau ist an diesen Medien eigentlich noch sozial? Die Zensur von weiblichen Brüsten? Dass jeder beleidigen und mobben kann, wie er will? Dass man ohne Facebook und Co. nicht mehr cool genug ist, nicht mehr mitreden kann? Wenn das sozial ist, dann ist Donald Trump ein Heiliger. Oder Kim-Jong Un ein Südkoreaner.

Fragen über Fragen

Sind wir als Volk offen genug? Wie können wir die Integration von Flüchtlingen verbessern? Warum soll ein Flüchtling nicht fürs Schwarzfahren bestraft werden? Wie kann es sein, dass hunderte oder gar tausende IS Anhänger unbemerkt in unserem Land leben? Wann kommt der Terror zu uns nach Deutschland?

So viele Fragen, die man sich stellen könnte. So viele verschiedene Antworten in unseren Köpfen. Ich könnte stundenlang darüber schreiben, über alles was in meinem und in unseren Köpfen (teilweise ganz unbewusst) an Gedanken herumfliegt. Die Antworten darauf wird uns die Zeit liefern, die einzigste, verlässliche Konstante. Wir alle hoffen, dass sie uns positive Antworten liefern wird.

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Bilder: Jonas Schonfelder – Flickr, – IHH Humanitarian Relief Foundation – Flickr, unsplash