Was ist eigentlich aus “DESERTEC” geworden?

Vor einigen Jahren ging es durch alle Medien: Die Versorgung Europas einschließlich Nordafrikas mit elektrischer Energie könnte durch ein Netz erneuerbarer Energie erfolgen, in dem die unterschiedlichen Kraftwerke (Solar, Wind, Wasserkraft, Biomasse, Erdwärme) jeweils an den optimalen Standorten mit bestmöglichem Wirkungsgrad eingesetzt werden sollten. Spitzenunternehmen aus dem Industrie- und Finanzsektor gründeten ein Konsortium, das viel Geld investieren und auch viel Geld verdienen wollte. Aber jetzt hört man nichts mehr davon.

Was war das Ziel?

Solarkraftwerke sollten in sonnenreichen Wüstenstaaten Nordafrikas entstehen, Windparks entlang den Küsten von Nordsee und Atlantik und in bestimmten Bergregionen, Erdwärme sollte auf Island einen relevanten Beitrag liefern, Biomasse käme in strukturschwachen ländlichen Regionen zum Einsatz, und für die notwendigen Pumpspeicherkraftwerke zur Abpufferung von Energieschwankungen könnten ein paar der zahlreichen Fjorde Norwegens genutzt werden. Alle Kraftwerke sollten durch hocheffiziente Hochspannungsgleichstrom-Übertragungskabel (HGÜ) miteinander vernetzt werden. Also ein Smart Grid auf höchster Ebene: Nicht kleckern, sondern klotzen, war dabei eine der Leitideen.

Desertec Verbundnetz
Das geplante Verbundnetz des Projektes DESERTEC. Die wichtigsten Energieerzeuger sind Windenergie und Solarenergie. Als Energiespeicher sollten Pumpspeicherkraftwerke in Norwegen dienen. Die Hochspannungstrassen nutzen verlustarme Gleichstrom Übertragung.
(Quelle: Desertec Foundation)

Besonders interessant in diesem Konzept ist der Beitrag der Solarenergie. Sie sollte nicht durch Photovoltaik-Anlagen erfolgen, wie sie auf deutschen Dächern verbreitet sind. Die Photovoltaik ist zwar eine technisch „elegante“ Lösung, weil sie keine drehenden Teile erfordert und geräuschlos und abgasfrei Licht in Strom verwandelt. Aber der Wirkungsgrad ist miserabel und der Ertrag ist abhängig von Einfallswinkel, Bewölkung, Verschattung, Verschmutzung usw. In Deutschland ist – bei einer jährlichen Einstrahlung von etwa 1000 kWh pro m2 – der Stromertrag eines waagrecht liegenden Moduls von einem Quadratmeter Fläche durchschnittlich etwa 90 kWh im Jahr (also ein Gegenwert von 23 EUR), da ist die Amortisation der Solarmodule ohne Subvention durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) kaum möglich. Photovoltaik ist bei unseren klimatischen Verhältnissen eine der teuersten Möglichkeiten, Strom zu erzeugen.

In Nordafrika sieht das schon anders aus: Die Einstrahlung pro Quadratmeter liegt hier bei bis zu 2500 kWh pro Jahr. Die Umwandlung in Strom sollte hier nicht mit Photovoltaik erfolgen, sondern mit solarthermischen Anlagen, die zwar ständig nach dem Lichteinfall ausgerichtet werden müssen, aber mit deutlich besseren Wirkungsgrad arbeiten als Photovoltaikanlagen und – zumindest in den Jahren der Projektplanung – preisgünstiger waren. Statt „small is beautiful“ (wie bei dem Solarmodul auf dem Dach des Einfamilienhauses) gilt hier die „economy of scale“: Je größer, desto wirtschaftlicher. Bei den solarthermischen Kraftwerken wird die Solarstrahlung optisch, durch Parabolrinnen oder Spiegel, auf den Brennpunkt konzentriert. Es entstehen sehr hohe Temperaturen, mit denen Wasserdampf erhitzt und unter Druck gesetzt wird. Anschließend kommt die konventionelle Kraftwerkstechnik zum Einsatz, die ja auch Dampf zum Antrieb von Turbinen und Drehstromgeneratoren nutzt. Die tagsüber erzeugte Wärme kann teilweise in großen Sandbehältern gespeichert werden, was eine Stromerzeugung nahezu rund um die Uhr ermöglicht. Bei der Photovoltaik ist solch eine preisgünstige Energiespeicherung in Form von Wärme nicht möglich.

Parabolrinne
Baustelle des Solarkraftwerks Quarzazate in Marokko. Verspiegelte Parabolrinnen konzentrieren die Solarstrahlen auf Röhren, in denen Thermoöl auf mehrere hundert Grad erhitzt wird. Damit wird Dampf erzeugt und eine Turbine mit Stromgenerator angetrieben.
Quelle: moroccoonthemove.com

Werden solarthermische Kraftwerke in großem Stil gebaut, ist eine Senkung der Erzeugungskosten auf bis zu 0,04 bis 0,05 €/kWh möglich. Zum Vergleich: Strom aus Photovoltaik kostet z.Zt. in Deutschland etwa 0,2 EUR/kWh, Windstrom etwa 0,1 EUR/kWh, Kohlestrom etwa 0,03 EUR/kWh (jeweils ab Erzeuger).

Geschätzte Gesamtkosten der Energierevolution: 400 Mrd. Euro!

Die Planung des DESERTEC-Netzes ging zunächst von renommierten “Club of Rome” aus. Die DESERTEC FOUNDATION setzte sich als gemeinnützige Stiftung für die Umsetzung des Konzeptes ein und gründete 2009 mit Unternehmen aus dem Industrie- und Finanzsektor (z.B. Siemens, ABB, Schott Solar, RWE, E.ON, Deutsche Bank, HSH Nordbank, Munich Re, State Grid Corporation of China) die “Desertec Industrial Initiative” (Dii GmbH), ein Konsortium, das die ökonomische Machbarkeit des Vorhabens untersuchen und die Einzelprojekte realisieren sollte. Die vorläufig veranschlagten Gesamtkosten wurden auf über 400 Mrd. EUR geschätzt.

DESERTEC sollte mit sauberer Energie zum Abbremsen des Klimawandels beitragen, aber gleichzeitig viel Geld einbringen. Der Glaube daran ließ aber offenbar schnell nach: Nach ersten euphorischen Berichten in den Medien über Nordafrika als Vorreiter moderner, umweltfreundlicher Energieversorgung wurde es allmählich still. Nicht einmal die wenigen Vorzeigeprojekte in Marokko (Parabolrinnenkraftwerk Quarzazate, 160 MW Leistung, geplant: 500 MW) und Tunesien (Solarturmkraftwerk, 210 kW) sind vom Dii Konsortium finanziert worden. Im Oktober 2014 wurde schließlich die Planungsgesellschaft mit ihrer Zentrale in München aufgelöst und als Planungsbüro mit einem stark verkleinertem Beraterstab nach Dubai verlegt. Die Geschäftsführung stellte klar, daß das Hauptziel der Initiative immer nur die Stromproduktion für die afrikanischen Staaten gewesen sei und nur ein kleiner Teil des Stroms nach Europa geliefert werden sollte.

Was ist schief gelaufen bei DESERTEC?

Die Gründe für das Scheitern der großen Vision liegen nicht nur in einer zu großen Komplexität der Technik. Sie liegen vor allem in der Abschätzung der Risiken und Kosten durch das Industriekonsortium Dii, und der im Herbst 2010 einsetzende „Arabische Frühling“ spielte dabei eine wesentliche Rolle. In der von Aufständen und Bürgerkriegen zerrütteten Region schienen hohe Investitionen in die Infrastruktur zu riskant. Nicht umsonst befindet sich die einzige große Solarkraftwerksbaustelle im (noch) friedlichen Königreich Marokko. Die zunehmende Gefährdung durch terroristische Anschläge ist ein Aspekt, der in der technokratischen Vision eines Kontinente überspannenden Energienetzes nicht enthalten war und eine Wirtschaftlichkeit ernsthaft gefährden kann.

Und noch etwas war unerwartet: Der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland und die damit verbundene „Energiewende“ mit der massiven Förderung der erneuerbaren Energien haben zu einem rasanten Ausbau der Solar- und Windenergie in Deutschland geführt. Engpässe entstehen zur Zeit vor allem durch das Fehlen von Stromtrassen zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage (Nord-Süd Trassen). Strom aber ist im Überfluss vorhanden.

Und bei allen neuen Planungsverfahren (vor allem im Bereich der Windenergie) ist inzwischen mit wachsendem Widerstand durch Bürger zu rechnen, die sich durch Windparks und Stromtrassen beeinträchtigt fühlen. Die Umstellung von Atom- und Kohlestrom auf erneuerbare Primärenergien ist in vollem Gange, aber sie kann nicht beliebig beschleunigt werden. An Solarstrom aus Afrika, der über teure HGÜ-Fernleitungen über tausende von Kilometern importiert werden müsste, besteht gar kein Bedarf.

Anders als vor 10 Jahren ist inzwischen die Photovoltaik – vor allem durch unschlagbar billige Importe aus Asien – preisgünstiger als die Solarthermie. Trotz ihres schlechten Wirkungsgrades sind Photovoltaik-Module als kleinere, dezentrale Anlagen zur Zeit die bessere Lösung.

Trotz des Misserfolgs des Desertec-Projektes bleibt die Idee des Verbundnetzes aus unterschiedlichen erneuerbaren Energien einschließlich der Speichertechnologien aber richtig. Sie muss nur auf die optimale Größe zurechtgestutzt werden.